Mittwoch, 30. Dezember 2009

Tuer le temps



In diesem Jahr kam's zahlenmäßig ziemlich dicke. Erst ging die globale Wirtschaft den Bach runter, dann war plötzlich das Weltklima futsch. Und nun droht schon die nächste Hiobsbotschaft: Das glückliche Gallien legt sich in Sachen Zeitrechnung quer. So steht es jedenfalls in einem nonkonformistischen Manifest, das eben hier hereingeflattert ist:

„Da sich die internationalen Staatsorgane taub stellen, schreitet die „Oppositionsfront gegen das Neue Jahr – Nationales Organisationskomitee“ (FONACON) ein weiteres Mal zur Aktion. Seit 2006 fordern die Mitglieder von FONACON die Abschaffung des Neuen Jahres - mit der Engelsgeduld von Leuten, die wissen, daß sie recht haben. Trotz eines großen Medienechos und einer weltweit stetig wachsenden Mobilisierung dringt diese Botschaft bis heute bei den Verantwortlichen nicht durch. Schlimmer noch, je mehr die internationale Unterstützung für uns wächst, desto weniger scheinen die Regierenden geneigt, unseren legitimen Forderungen Rechnung zu tragen. Im vorigen Jahr hatten wir uns, im Vertrauen auf den Kandidaten Barack Obama, mit dessen Unterstützung wir selbstverständlich rechneten, an einer Atlantik-Überquerung auf Schusters Rappen versucht … Ohne Erfolg.

Für dieses Jahresende 2009 sah unser Aktionsprogramm eine große Kundgebung vor dem New Yorker Sitz der Vereinten Nationen vor. Leider haben die Geheimdienste verschiedener Regierungs-Organisationen ihre Verbindungen spielen lassen, um uns inoffiziell zu signalisieren, daß wir wegen einer Quarantäne infolge der Schweinegrippe nicht in die Vereinigten Staaten einreisen könnten, um hier unseren gerechten Zorn kundzutun. Wir nehmen das zur Kenntnis.

Da es aber nicht in Frage kommt, daß wir die Flinte jetzt ins Korn werfen und den schändlichen Drohungen des Traditionsvereins von Weihnachtsbaum-Lobbyisten, Luftschlangen-Industriellen, [Pyrotechnikern,] Kalender-Fabrikanten und Schweizer Uhrmachern beugen, die aus der vergänglichen Zeit ihren Honig saugen, und wir andererseits unseren Sympathisanten auch den Härtetest der Quarantäne [bzw. frei nach Derrida: eines vierzigjährigen Volkskriegs] ersparen möchten, verkünden wir feierlich, daß wir, als Antwort auf die diversen Pressionen, unsere Militanten zu Kundgebungen vor allen Freiheitsstatuen in Frankreich aufrufen (unseres Wissens gibt es davon sechzehn, möglicherweise aber auch mehr – vielleicht wäre das eine Gelegenheit, das hiesige National-Inventar der historischen Denkmäler einmal zu vervollständigen), um uns dortselbst in Quarantäne zu begeben, im Angesicht jener Freiheitsstatue, die einst auch die Einwanderer bei ihrer unfreiwilligen Isolation in Ellis Island, wo sie auf ihren Eintritt in die USA warteten, vor Augen hatten. Wir warten dort auf die Abschaffung des Neuen Jahres, auf das Nicht-Eintreten von 2010.“

Bravo, la France !! Das ist zwar nicht unbedingt schon der Weckruf des gallischen Hahns, zumal der ja erstmal nur Europa wachkrähen soll (MEW 6, 10 und öfter), aber zumindest eine originelle Antwort auf Sarkozy, Schlämmer, Sonneborn & Co..

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Zur epistemologischen Vertiefung:

Daniel S. Milo, Trahir le temps (Histoire), Les Belles Lettres, Paris 1991

Daniel S. Milo, Alain Boureau (Hrsg.), Alter Histoire. Essais d'histoire expérimentale, Les Belles Lettres, Paris 1991 (der geniale Hauptaufsatz Milos aus diesem Band, "Pour une histoire expérimentale ou le gai savoir", erschien auch in deutscher Übersetzung, und zwar in Jürgen Links Zeitschrift "kultuRRevolution", Nr. 24, 1991, sowie in einem Reader des Wilhelm Fink Verlags,"Zeit der Ereignisse - Ende der Geschichte ?", hrsg. v. Friedrich Balke u.a., München 1992).

Donnerstag, 24. Dezember 2009

Das Genuine

Und er fand dort eine Höhle und führte sie hinein und ließ seine Söhne bei ihr stehen und ging hinaus, um eine hebräische Hebamme in der Gegend von Bethlehem zu suchen. Ich aber, Joseph, ging umher und ging doch nicht umher. Und ich blickte hinauf zum Himmelsgewölbe, und ich sah es stillstehen, und ich blickte in die Luft und sah die Luft erstarrt und die Vögel des Himmels unbeweglich bleiben. Und ich blickte auf die Erde, und ich sah eine Schüssel stehen und Arbeiter darum gelagert, und ihre Hände in der Schüssel. Aber die Kauenden kauten nicht, und die etwas aufhoben, hoben nichts auf, und die etwas zum Munde führten, führten nichts zum Munde, sondern alle hatten das Angesicht nach oben gerichtet. Und siehe, Schafe wurden umhergetrieben und kamen doch nicht vorwärts, sondern standen still; und der Hirte erhob die Hand, sie mit dem Stecken zu schlagen, aber seine Hand blieb oben stehen. Und ich blickte auf den Lauf des Flusses, und ich sah die Mäuler der Böcke darüberliegen und nicht trinken. Dann aber ging alles auf einmal wieder seinen Gang.



Protevangelium des Jakobus, Kap. 18, nicht vor 150 n. Chr.

(= W. Schneemelcher ed., Neutestamentliche Apokryphen, Bd. I: Evangelien, 6. Auflage, 1990, S. 345f. ; Übers. O. Cullmann)

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Sobald ein Mensch kommt, der etwas Primitives mit sich bringt, so daß er also nicht sagt: Man muß die Welt nehmen wie sie ist ... , sondern sagt: Wie die Welt auch ist, ich bleibe bei einer Ursprünglichkeit, die ich nicht nach dem Gutbefinden der Welt zu verändern gedenke: im selben Augenblick, als dieses Wort gehört wird, geht im ganzen Dasein eine Verwandlung vor sich. Wie im Märchen - wenn das Wort gesagt wird, sich das seit hundert Jahren verzauberte Schloß öffnet und alles Leben wird: so wird das Dasein lauter Aufmerksamkeit. Die Engel bekommen zu tun und sehen neugierig zu, was daraus werden wird, denn dies beschäftigt sie. Auf der anderen Seite: finstere unheimliche Dämonen, die lange untätig dagesessen und an ihren Fingern genagt haben, springen auf und recken die Glieder, denn, sagen sie, hier gibt es etwa für uns.

Siegfried Kracauer, den Kierkegaard zitierenden Kafka zitierend

(= S. Kracauer, Geschichte - Vor den letzten Dingen (1966), übers. v. K. Witte, 1971, S. 246)

Montag, 7. Dezember 2009

Schmutz sells

Avec la souillure nous entrons au règne de la Terreur.

(Paul Ricoeur, Finitude et Culpabilité, 31)


Dem Kapitalismus laufen in Scharen die Gläubigen davon. Und nicht nur die Gläubigen und das Fußvolk, sondern vor allem auch die Gläubiger, die Shareholder und die Aktionäre. Man nehme nur die Ereignisse der letzten Tage: In Hamburg hat Großmeister Piëch die letzten VW-Volksaktionäre vergrault, in Frankfurt platzt der milliardenschwere, von drei Großbanken eingefädelte Hochtief-Börsengang (die einzige nennenswerte deutsche Neuemission dieses Jahr, abgesehen von einem sino-teutonischen Mobilfunk-Emissiönchen), in Amerika krachte letzte Woche bereits das 130. Kreditinstitut dieses Jahr zusammen, und mit Dubai kollabiert gleich ein ganzer Finanzplatz (und wird nun womöglich, damit der Turmbau zu Babel noch ein bißchen weiter gehen kann, vom benachbarten Abu Dhabi übernommen).

Bei den journalistischen Hofschranzen des Kapitals aber ist nun Pfeifen im Walde angesagt. Was habt ihr nur, orakeln sie, das Schlimmste ist doch überstanden, die Börsen und die Hedgefonds boomen doch wieder, und auch den Investment-Banken geht’s doch wieder prächtig, jedenfalls was den Risikoappetit, die Stimmung, die Gewinne und Boni in diesen Geldkathedralen betrifft. Und das wird dann regelmäßig mit knallharten Fakten aus dem Leben der High Net Worth Individuals, genannt Fundamentaldaten, untermauert. „Händler und Investmentbanker, die eine Zweitwohnung in der Reichenenklave Palm Beach besitzen“, berichtet die FAZ, „fliegen jetzt wieder öfter mit dem Privatjet nach Florida“. Sehr beruhigend.

Und Dubai ?

Nun, Dubai ist für die Nutzwert-Journaille eine schöne Gelegenheit, den Finanzmoral-Apostel herauszukehren und den dummen Anleger-Schafen mal richtig die Leviten zu lesen. „Der Dubai-Schock jedenfalls hat Anleger wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Es kann nur gesund sein, wenn den Anlegern immer wieder die weiterhin hohen Risiken auf den Märkten bewußt gemacht werden“, predigt ein geborener Hiller von Gaertringen, Spezialist für Banken und Weinbau, der FAZ-Gemeinde zum Wochenende (FAZ, 5. 12. 2009, Seite 23). Und sein Welt-Kollege bläst in die gleiche Moralin-Posaune: „Die ehemalige Boom-Stadt ist ein mahnendes Beispiel für die Unwägbarkeiten von Nischenmärkten und noch nicht etablierten Kapitalmärkten.“ Mehr wollen, können oder dürfen sie nicht sagen. Das elfte Gebot für den „homo investor“ spart sich man auf, bis Felix Arabia endgültig in Schutt und Asche liegt: Du sollst dem Mammon in Nischenmärkten keine 1000 Meter hohen Minarette errichten !

Bei Josef „Joe“ Ackermann, aber der ist ja auch keine Hofschranze des Kapitals, sondern das Kapital himself (bzw. seine Charaktermaske), hat das jüngst doch etwas dramatischer geklungen. Freund Joe ließ sich, von seiner Busenfreundin Merkel ins Kanzleramt eingeladen, um eine dicke Lippe zu riskieren, nicht lange bitten und sprach von „einigen Zeitbomben“, die noch auf den Finanzmärkten tickten. Welche das genau sind, das sagte er natürlich nicht (er erwähnte neben Dubai nur einen möglichen Staatsbankrott Griechenlands), denn die Deutsche Bank will natürlich auch mit diesen Zeitbomben noch gutes Geld verdienen, und läßt sich bei ihren negativen Wetten auf das nächste Finanzdesaster nur ungern in die Karten schauen.

Die Suche nach Vertragspartnern und Gegenparteien für solche Derivate-Wetten aufs Unglück der anderen (d. h. der Vertragspartner, der Gegenparteien und den Rest der Welt) gestaltet sich freilich zunehmend schwieriger. Vorübergehend ist der Staat eingesprungen, hat sich noch einmal breitschlagen lassen und den Banken ihren ganzen toxischen Finanz-Schrott (praktisch ohne Gegenleistung, vor allem ohne Mitsprache- und Kontrollrechte) abgekauft, aber im Prinzip gilt: Die Partygäste haben genug, das Casino leert sich. Denn nun gehen, so scheint es, auch jene jüngst zum neoliberalen Evangelium bekehrten Gläubigen von der Fahne, denen man als Spätkonvertiten eine ganz besondere Passion für den Casino-Kapitalismus nachsagte. Einige internationale Investmentbanken seien „die größten Verbrecher“, ließ sich jüngst ein hoher chinesischer Funktionär vernehmen, der hunderte von Staatsunternehmen überwacht, die im Derivate-Geschäft mit Goldman Sachs, Morgan Stanley und anderen auf die Nase gefallen waren. Die Unternehmen (z.B. Fluggesellschaften) hatten den Banken Terminpapiere (z. B. auf Kraftstoff) abgekauft, wahrscheinlich im guten Glauben, sich hiermit gegen Preisveränderungen bei Kerosin abzusichern, doch das Gegenteil kam heraus: Es liefen Verluste von umgerechnet 1,1 Milliarden Euro an. Der Verkauf solcher Terminpapiere habe „betrügerischen Charakter“, schrieb der Funktionär nun in der Zeitung „Xuexi Shibao“, denn sie seien viel zu komplex und in der Beurteilung ihrer Risiken kaum zu überschauen.

Ähnliches mag sich, im stillen Stadtkämmerlein, auch mancher deutscher Stadtkämmerer schon gedacht haben, ein Berufsstand, der in den vergangenen Dekade von Finanzkonzernen mit bizarrsten Sale-and-lease-back-Konstruktionen („abgesichert“ durch 10000-seitige Verträge) gleich reihenweise über den Tisch gezogen wurde. Vom Großmütterlein, dem die Kreissparkasse Lehman-Zertifikate oder Manfred Krug Telekom-Volksaktien angedreht hat, ganz zu schweigen …

Wer, außer dem Staat, dessen Personal von der Hoch- und Konzernfinanz per Lobbyismus und Parteispenden gefügig gemacht oder (wie in der Bush- und Obama-Administration, aber auch Hans Eichels wichtigster Steuerberater, Heribert Zitzelsberger, inzwischen verstorben, kam aus einem DAX-Konzern) gleich direkt ausgeliehen wurde, kauft jetzt eigentlich noch den ganzen Schrott ? Auch der seit Frühjahr laufende Börsenboom ist doch gleich doppelt auf Sand (d. h. auf Staatsschulden und fiktives Kapital) gebaut; er basiert einerseits auf Kostensenkungen der Unternehmen (d. h. auf Entlassungen, auf Vernichtung von Humankapital und externalisierten Kosten, die nun via Kurzarbeitergeld, Hartz IV etc. der Staat trägt), andererseits aber auf einer klassischen Spekulationsblase, entfacht durch jene Zentralbank- und Staatsgelder, die man im Zuge der Bankenrettungspläne in den Markt gepumpt hat. Von dieser Blase profitieren einzig die Banken selbst bzw. jene institutionellen Investoren, an welche diese Gelder weitergereicht wurden.

Die Privatanleger aber, das geben die Experten zu, haben an der jüngsten Aktienhausse kaum teilgenommen. Und das ist, was oft übersehen wird, keine kurzfristige Entwicklung, sondern das geht jetzt (zumindest in Deutschland) schon seit Jahren so, genau genommen seit dem Jahr 2000, als der mit großem Tamtam aus der Taufe gehobene Neue Markt zusammenkrachte (und dann Juni 2003 verschämt geschlossen wurde). Seither ist die Zahl der Aktien- und Fondsbesitzer in Deutschland (die vom Deutschen Aktieninstitut jährlich per Umfrage ermittelt wird) dauerhaft im Sinkflug begriffen. Im Jahr 2000 gab es in Deutschland 6,2 Millionen Aktienbesitzer, im Jahr 2008 waren es noch 3,5 Millionen, und auch die Kurve der Fondsbesitzer weist stabil nach unten (wenn auch deutlich flacher) – und das trotz Riester-Propaganda-Zirkus und ständigem Werbe-Trommeln für eine kapitalgedeckte Altersvorsorge. Die Zahl der Zertifikate-Besitzer (also der Käufer komplexer Finanzderivate wie Optionen oder Optionsscheine) ist ohnehin vergleichsweise gering: sie lag 2006, also vor der Finanzkrise, bei 480.000, es gab jedoch schon damals allein den Börsen in Frankfurt und Stuttgart mehr als 200.000 Typen, Produktvarianten und Einzelausgaben dieser Derivate-Papiere, wobei bis heute jeden Tag hunderte von neuen Titeln aufgelegt werden. Mit anderen Worten, es kann durchaus sein, daß es in Deutschland inzwischen schon mehr Zockerpapiere als Zocker gibt, denn wenn sich ein Produkt mal (wie die Lehman-Zertifikate) gründlich blamiert hat, basteln die Künstler von der Finanz-Verpackungsindustrie gleich wieder ein halbes Dutzend neuer „Best-Unlimited-Turbozertifikate“, „Put-down-and-out-Optionsscheine“ und wie sie alle heißen. Die einzige Bedingung dieser Produkte ist, daß sie monströs klingen und daß sie außer ein paar Raketenforschern in den Bankentürmen keiner mehr versteht: Nur so läßt sich der Betrieb im großen Wettbüro des Finanzkapitalismus aufrechterhalten, und nur so können die Finanzinstitute weiterhin ihren Reibach machen.

Womit kann man den „homo investor“, das vielfach gebrannte Kind, nach den zweieinhalb Finanzdesastern der letzten Dekade jetzt noch locken ? Das ist die tägliche Frage in Produktmarketing-Abteilungen der Finanzindustrie, und auch in den Finanz- und Börsenteilen der Tageszeitungen, ihrem verlängerten Arm, denn die hier beschäftigte Intelligentsia agiert schon lange nicht mehr autonom, auf eigene Rechnung oder mit eigenem Verstand, sondern eher wie eine journalistische Drücker-Bande im großen finanzkapitalistischen Strukturvertrieb.

Womit kann man diesen Privat- und Kleinanleger also noch locken ? Man kann ihn, so lautet die neueste posttraumatisch-finanzbehavioristisch aufgeklärte Antwort, am einfachsten locken, indem man an seine niedersten Instinkte, seine „animal spirits“, und gleichzeitig – denn ohne das geht’s dann doch nicht ganz - an sein gutes Finanz-Gewissen, d.h. an sein Krämer- und Weltbürger-Seelchen, appelliert. Die Finanzredaktion der FAZ, der Konkurrenz immer eine Nasenlänge voraus, war sich denn auch nicht zu schade, vergangene Woche eine vierspaltige Finanzprodukt-Offerte mit folgender sensationeller Schlagzeile aufzumachen:

"Privatanleger können vom Handel mit Schmutz profitieren"

(Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. 12. 2009, Seite 21)

Ja, ist das denn die Möglichkeit, mag sich der geschockte Zeitungsleser (nennen wir ihn mal „homo sapiens“, denn zum „homo investor“ soll er ja erst noch oder wieder herangebildet werden) zunächst gefragt haben: Handel mit Schmutz, also mit dem Gegenteil von Wert, mit etwas, das jeder loswerden und keiner haben will, wo gibt’s denn so was ? Nein, das gibt’s tatsächlich, wir leben ja schließlich im Kapitalismus, da ist alles möglich, und der gute Mann mußte nur ein bißchen weiterlesen, da erfuhr er dann die ganze tolle Wahrheit:

"Die Besitzer oder Käufer spezieller Verschmutzungs-Wertpapiere können damit bares Geld verdienen."

Der Grund dafür, so erläuterte ihm dann der schlaue Redakteur, sei denn auch ganz einfach. Die EU-Regierungen hätten allen Fabrikanlagen „eine bestimmte Verschmutzungsmenge im Jahr“ zugeteilt, und diese „Verschmutzungsrechte“ seien anschließend an speziellen Börsen in London und Leipzig, die unsere wohlmeinenden Regierungen ja inzwischen auch aus dem Schmutz gehoben haben, eben auf den Heller und Pfennig genau notiert worden:

"Denn den Preis eines Verschmutzungsrechtes kann man dort genauso ablesen wie den Preis einer Volkswagen-Aktie an der deutschen Börse."

Die Banken waren nun natürlich auch nicht faul, sie hätten, so lesen wir weiter, für ihre saubere Kundschaft spezielle Schmutzpapiere kreiert und zertifiziert, die der Privatanleger dort, z.B. bei der Hypovereinsbank, der Commerzbank oder der Dresdner Bank, käuflich erwerben könne. Eines dieser Zertifikate koste jeweils so viel wie eine Tonne Schmutz, und die liege momentan an Leipziger Börse bei 13,50 Euro. Und als kleiner Service werden dem FAZ-Leser dann gleich auch noch die entsprechenden Schmutzpapier-Kennnummern mitgeteilt. Die Botschaft ist eindeutig: Kleiner Mann, ran an den Schmutz !

Kein Zweifel, mit diesem schmutzwertjournalistischen Scoop hatte die FAZ-Finanzredaktion die Latte ziemlich hoch gelegt. Die Konkurrenz mußte nachziehen, und sie tat es gleich am nächsten Tag, als nämlich die „Financial Times Deutschland“, unter dem Titel „Die Emissionare“ die Erfolgstory zweier Jung-Entrepreneure präsentierte, zweier „Dirty minds“, die in der Schmutz-Branche ihre Lebensaufgabe gefunden haben und „Mittelständlern (dabei helfen), ihre Verschmutzungszertifikate optimal zu verwalten“. Auch der „Spiegel“ ließ sich nicht lumpen, machte es aber dann erfreulicherweise kritischer und zeigt auf (Nr. 50, 7. 12. 2009, Seite 90-92), inwiefern in diesem ganzen schmutzigen Geschäft auch hübsche Chancen zur Umsatzsteueroptimierung liegen. (Die Story stammt denn auch vom "Wirtschaftsjournalisten des Jahres". Wir gratulieren !)

Wie geht’s jetzt weiter ? Was kommt noch ? Welche komischen Überraschungen hat der durchgeknallte Kapitalismus als nächstes in der Pipeline ? Nun, da fällt die Antwort nicht schwer: In dieser schmutzigen Richtung dürfte es wohl weiter gehen. Die seltsamen Hirne, die sich „Verschmutzungsrechte“, „Schmutz-Zertifikate“ und „Abwrackprämien“ ausgedacht haben, werden nicht ruhen, bis sie schließlich auch den ersten indexbasierten „Balanced Dirty Rubbish All Shares Global Fund“, angereichert mit einem Querschnitt der weltweit schönsten Schmutzbörsen, oder den „Transatlantic Best Select Media Bullshit Mixed Equity Fund“, aus einem Portfolio von Springer AG, Mediaset und Fox News-Anteilsscheinen, kreiert haben – sozusagen als Antwort auf die „Islamic Finance“, die ja nur mit ganz blüten- und astreinen Produkten handelt.

Und dann wächst die Blase wieder, sie wächst und wächst, und irgendwann platzt sie.

Was für eine Blase ?

Na, der globale Geld-Grün-Komplex, die große Schmutz-Blase.

Da heißt es jetzt frühzeitig einsteigen und dann rechtzeitig wieder aussteigen – das ist das ganze Kunststück.

Das ist der Börsen-Weisheit letzter Stuß.

Irgendwann, wenn keine bessere Lösung dazwischenkommt, wird man diesen Kapitalismus totschlagen wie einen tollen Hund.

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Zitat: Paul Ricoeur wird zitiert nach Christian Enzensberger, "Größerer Versuch über den Schmutz I", in: Kursbuch 10 (Oktober 1967) Seite 87

Sonntag, 6. Dezember 2009

First anniversary of the murder of Aléxandros Grigorópoulos

Zum Gedenken an Alfred Hrdlička


*27. Februar 1928, Wien - † 5. Dezember 2009, Wien

Würdigungen des Bildhauers, Graphikers und Antifaschisten Alfred Hrdlička stehen bei indymedia und redblog.

Das für mich schönste Porträt Hrdličkas stammt von Michael Mathias Prechtl und zeigt den am rechten Ellenbogen blutbefleckt-bandagierten Bildhauer mit Hammer und Meißel arbeitend an einer Büste Rodins, welcher seinerseits mit Hammer und Meißel an einer Skulptur Donatellos arbeitet („Kurze Geschichte der abendländischen Bildhauerei seit der Renaissance“, aus „Prechtls Welttheater“ ?)

Foto: Christian Brandstätter Verlag, Wien, für AEIOU


Donnerstag, 3. Dezember 2009

Nation Building

Who are you (1/4) Baba O'Riley (2/4) Behind Blue Eyes (3/4)

The Concert for New York City was a benefit concert, featuring many famous musicians, that took place on October 20, 2001, at Madison Square Garden in New York City, in response to the September 11, 2001 attacks.

The Who sind der Sänger Roger Daltrey, Zak Starkey am Schlagzeug (hier eine Gedenkminute für den unnachahmlichen Keith Moon), an der Gitarre Pete Townshend und am Kontrabaß Sir Henryk Broder (verkleidet als John Entwistle).






Mittwoch, 2. Dezember 2009

Heini von Pierer, der edle Ritter, treibt es erneut als Schmiergeld-Sodomiter


Der heutige Mittwoch war erstmal kein schlechter Tag für die deutsche Großkopfeten-Wirtschaft.

Am runden KanzlerInnen-Tisch wurde dem Mittelstand zum x-ten Mal das Blaue vom Himmel herunter versprochen, und im Südosten hat man zwei Finanz-Leichen mittlerer Größe wieder in den Keller zurückverfrachtet, allenfalls die gute ehrbare Kaufmanns-Moral hat etwas gelitten, weil zwei Wirtschaftsführer unbedingt beweisen mußten, daß sie ebenbürtige Weicheier sind.

Aber das wußten die journalistisch Eingeweihten bereits vorher.

Insofern nichts wirklich grundstürzend Neues.

Mit dem nachmittäglichen Tee-Kränzchen bei der Kanzlerin braucht man sich nicht lange aufzuhalten: Madame Merkel schickte Wirtschaftsminister Brüderle und den am rechten Zeige- und Zählfinger rundum bandagierten Finanzminister Schäuble am Abend vor die Löwen der Bundespressekonferenz, um das Ergebnis des Round-Table-Meetings herauszuposaunen. Woraus man schon schließen kann, was tatsächlich herauskam: Deutlich weniger als nichts, keine neue Regeln für die Banken, nicht einmal neue Staatsschulden wurden verkündet. Vorsorglich hatten die EU-Knickerbocker ja schon gegen Mittag in Brüssel auch mal wieder ein neues Defizit-Verfahren gegen die Bundesrepublik annonciert, und mit diesen Knausern will man sich’s in Berlin natürlich nicht verscherzen. Also Schwamm drüber…

Eine etwas nähere Betrachtung verdienen nun aber doch die beiden Finanz-Leichen mittlerer Größe. Denn hier wurde nach monatelangen Verhandlungen zwischen Rechtsanwälten, Leistungsträgern, Privatdetektiven, Frühinvaliden, Dealmakern und anderen Halbweltgestalten in beiden Fällen etwas erzielt, was wichtigtuerische Experten nicht anstehen, einen „überraschenden Durchbruch“ zu nennen.

So kam es zu einem überraschenden Durchbruch im mysteriösen Diebstahl des Sarkophags mitsamt der Leiche des Milliardärs Friedrich Karl Flick, deren Entführer ursprünglich sechs Millionen Euro Lösegeld für die Zurückgabe des erlauchten Kadavers gefordert hatten, und dann gleich noch zu einem ebensolchen in der milliardenschweren Siemens-Schmiergeld-Affäre, wo sich zwei hochrangige Wirtschaftsführer, Siemens-Aufsichtsratschef Gerhard Cromme und sein Vorgänger Heinrich von Pierer, für schlappe sechs Millionen Euro gegenseitig den Schneid abzukaufen suchten.

Beides gelang – wenn auch nur zu mehr oder weniger ermäßigten Preisen – am Ende beinahe vollständig.

Im ersten Fall von Rechts- , Finanz- und Leichenhandel war der Rabatt besonders stark, es fielen neben Anzahlungen der Flick-Familie in Höhe von 200.000 Euro (gezahlt in zwei Raten) bislang nur private Transportkosten von etwa 740 Euro für die Überstellung der Leiche von Österreich nach Ungarn an, was vier Hilfsarbeiter irgendwie bewerkstelligt haben müssen, wie die Polizei inzwischen herausgefunden hat, von denen also jeder 185 Euro erhielt (ob das die Auslagen und Arbeitskosten wirklich abgedeckt hat ?), die vier Herren (drei davon rumänische Landsleute) sind übrigens flüchtig, und die Kosten für den Rücktransport der Milliardärs-Mumie übernahm natürlich Österreich-Ungarn, wohingegen jetzt der mutmaßliche Drahtzieher der Translatio Frederici, ein Budapester Rechtsanwalt, hinter ungarischen Gardinen sitzt. Recht geschieht dem Rendite-Terrorist, das nächste Mal, da sind wir uns sicher, bezahlt der Schuft seine Leute ordentlich !

Beim zweiten Deal des Tages, der finalen Schadensabwicklung der sogenannten Siemens-Korruptions-Affäre im Konzern-Aufsichtsrat, ging’s scheinbar etwas vornehmer zu als bei der österreichisch-ungarischen Totenverschiebung. Hier einigte sich eine, wenn sie denn vollzählig versammelt war, gemischt 20-köpfige Herren- und Damenrunde (die holde Weiblichkeit repräsentiert durch zwei Gewerkschaftsfrauen und eine promovierte Business Woman) heute morgen im Grundsatz auf folgenden Deal: Neun Alte Siemens-Herren zahlen alle jeweils ein kleines Sümmchen an ihren früheren Arbeitgeber, den sie zuvor mit ihrem Tun und Lassen an den Rand des finanziell-moralischen Ruins gebracht hatten, und werden von ihrer Ex-Firma deshalb im Gegenzug nicht vor ein ordentliches Gericht zitiert.

Das ist doch was, oder ?

Man könnte sagen, das Ganze ist ein hübsches Ablaßzahlen-, Schweigegeld- und Stillhalte-Agreement, die Vereinbarung einer Reihe von Zahlungen, denen beim Vertragspartner (der Siemens AG) in keinem Fall irgendeine reale positive Gegenleistung, sondern hier nur die Verpflichtung zur Unterlassung einer solchen entspricht.

Mit anderen Worten, es handelt sich erneut um eine Schmiergeld-Operation, um eine Transaktion, deren Zweck genauso dubios ist, wie es der ganze Siemens-Korruptions-Zirkus schon bisher war, also jene 1, 3 Milliarden Euro „zweifelhafter Zahlungen“, mit denen von Pierer & Konsorten ihren Konzern zwischen 2000 und 2006 überhaupt erst in die Scheiße geritten haben (sieht man einmal davon ab, daß die Herren in diesem Zeitraum auch ihr Handy-Geschäft, so wie vorher die Halbleiter-Sparte, versiebt haben). Und erneut lautet die einzige greifbare Begründung: Wir müssen das so machen, denn es ist notwendig für’s Geschäft.

Das auszusprechen überließ man freilich dem IG-Metall-Vorsitzenden Berthold Huber, der auch im Siemens-Aufsichtsrat sitzt, für irgendetwas müssen solche Arbeiterführer ja gut sein. „Es ist gut für das Geschäft, daß diese Auseinandersetzungen beendet sind“, gab der wackere Mann heute im Anschluß an die Aufsichtsratssitzung der „Süddeutschen Zeitung“ zu Protokoll. „Siemens soll positive Schlagzeilen machen.“

Schauen wir uns nun die einzelnen, heute beschlossenen Ablaßzahlungen näher an. Ex-Boss Heinrich von Pierer, der alte Schlaumeier, konnte seinen Beitrag auf 5 Millionen Euro herunterhandeln (zahlbar in Raten) – der derzeitige Siemens-Aufsichtsratvorsitzende Gerhard Cromme hatte ursprünglich sechs Millionen Euro gefordert (und damit monatelang die halbe deutsche Wirtschaftspresse kirre gemacht). Auch Ex-Personalchef Jürgen Radomski bekam mit 3 Millionen Euro einen veritablen Gnaden-Rabatt – hier hatte man zunächst 4 Millionen Euro verlangt. Bei den anderen gab’s gab offenbar keinen Preisnachlaß: Klaus Kleinfeld, heute Chef des US-Aluminiumkonzerns Alcoa und Vorgänger von Pierer als Vorstandsvorsitzender, soll zwei Millionen Euro zahlen. Von Johannes Feldmayer (Ex-Europa-Chef) und von Uriel J. Sharef (Ex-Amerika-Chef) werden jeweils 4 Millionen Euro verlangt, während der Ex-Aufsichtsratsvorsitzende Karl-Hermann Baumann mit 1 Million Euro zur Kasse gebeten wird. Hinzu kommen drei weitere Alte Herren mit kleineren Gaben für den Siemens-Klingelbeutel – ingesamt belaufen sich diese neun Vergleichsvereinbarungen auf 19,5 Millionen Euro. Nur den Josef "Joe" Ackermann, der bereits zu Siemens-Schmiergeld-Hochzeiten im Konzern-Aufsichtsrat saß (als stellvertretender Vorsitzender, d. h. als zweiter Mann hinter K.-H. Baumann) und heute dort noch immer sitzt (inzwischen als 2. stellvertretender Vorsitzender), hat man wieder mal verschont. Das hat er toll gedrechselt, der Mr. Deutsche Bank ...

So macht Konzern-Kapitalismus Spaß: Ein Verkäuferin verliert wegen einem verspeisten Wurstbrötchen im Wert von 2 Euro 50 ihren Job, aber die Siemens-Bande, die mindestens 3,8 Milliarden Euro in den Sand gesetzt hat (1,3 Milliarden Schmiergeld + 2,5 Milliarden Rechtskosten und Steuernachzahlungen), kommt mit einer Stillhaltegebühr von 19,5 Millionen Euro davon, das heißt deutlich weniger als 1 Prozent der Schadensumme, und muß nicht einmal vor den Kadi – und das erledigten alles hochbezahlte Rechtsanwälte für sie.

Von Pierer (und vier seiner Kumpane) erwartet bestenfalls noch ein Ordnungswidrigkeitsverfahren bei der Münchner Staatsanwaltschaft, und nicht einmal das scheint sicher zu sein. Die Strafverfolgungsbehörden sind nämlich angesichts systemischer Konzern-Korruption, die darin besteht, daß niedere Chargen und Vollstrecker ihren Wirtschaftsführern willig voraus- und entgegenarbeiten und das Drecksgeschäft für sie erledigen (andernfalls würden sie gefeuert), heillos überfordert und unterbesetzt; denn diese Herren und Damen Staatsanwälte wissen, daß sie gegen die gewieften vielköpfigen Anwaltsteams der Gegenseite in neun von zehn Fällen doch den Kürzeren ziehen müssen; deshalb versuchen sie erst gar nicht, dem Buchstaben und Geist der Gesetze Taten folgen zu lassen, und ducken sich ebenfalls lieber weg.

Freilich, ganz und völlig hat er sich dann am Ende doch nicht weggeduckt, der von Pierer. Eine Journalistin des "Tagesspiegel" hat den Mr. Siemens gestern doch tatsächlich per Telefon erreicht. Sie wollte natürlich wissen, ob er irgendetwas zu dem ganzen peinlichen Kuhhandel zu sagen habe. Von Pierer hatte. „Kein Kommentar“, erklärte ihr der edle Ritter am Handy. Er sei gerade geschäftlich in Thailand unterwegs. Und der Lärm im Hintergrund habe nichts mit ihm zu tun.

Das war, gemessen am sonstigen Niveau des hiesigen Wirtschaftsjournalismus und des Genres Top-Entscheider-Interview, dann doch eine fast erschöpfende Auskunft. Corinna Visser, gelobt sei dein Name !
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Foto: Deutsche Presse-Agentur

Dienstag, 1. Dezember 2009

Amused, or not amused: that is the question



Gefunden auf den Websites Attac Deutschland & Angry Mermaid Award.

Selbst wenn der Kopenhagener Klima-Gipfel ins Wasser fallen sollte, hat er doch jetzt schon sein Gutes gehabt und jedenfalls die Kreativwirtschaft zu musischen Höchstleistungen in Sachen Corporate Social Responsability beflügelt.

Es fehlt jetzt nur noch der abendfüllende Spielfilm, in dem Meerfrollein, Dame Gaia und Al Gore zum acting in concert antreten und sich nicht nur mit den vier Elementen & Kontinenten, sondern auch mit den Verdammten dieser Erde sowie Hugo Chávez’ V. Internationale verbünden, um den 7 Lastern + 4 apokalyptischen Reitern des Kapitalismus in einer großen Psychomachie endgültig den Garaus zu machen.