Das System reagiert offenbar schnell: Nachdem am frühen Morgen Sprengsätze vor der Athener Börse und einem Ministerium in Thessaloniki detoniert waren, kündigte der griechische Ministerpräsident Karamanlis am Abend überraschend vorzeitige Neuwahlen an. Polizei und Medien in Griechenland vermuten als Urheber der Anschläge linke revolutionäre Gruppen.
Die beiden Sprengsätze waren Medienberichten zufolge fast zeitgleich – gegen 5.30 h oder 5.45 h Ortszeit – explodiert. Die laut Polizeiangaben in einem Minibus vor der Börse platzierte Autobombe richtete erhebliche Zerstörungen an Gebäuden und Fahrzeugen an. Personen kamen dabei keine zu Schaden – mit Ausnahme einer Passantin (eine Security-Mitarbeiterin laut indymedia, eine Putzfrau laut Associated Press), die durch Glassplitter leicht an der Hand verletzt wurde. Zuvor war eine Bombenwarnung bei der Zeitung „Eleftherotypia“ eingangen, so daß die Polizei das Gelände weiträumig absperren konnte. In der nordgriechischen Hafenstadt Thessaloniki ereignete sich die Explosion vor dem Ministerium für die Provinzen Makedonien und Thrakien. Der in einem Telefonkasten deponierte Sprengsatz richtete hier angeblich geringere Sachschäden an als in Athen.
Nulla dies sine flamma
In der griechischen Presse wird vermutet, daß in Athen die Gruppe "Revolutionärer Kampf" (Epanastatikos Agonas) und in Thessaloniki die "Vereinigung des Kerns des Feuers - Abteilung Nihilisten" (Synomosia Pyrnon tis Fotias - Fraxia Mideniston) für die Anschläge verantwortlich sind. Allerdings ist die anarchistisch-linksradikale Szene in Griechenland sehr unübersichtlich. Laut einem anonymen Blog-Posting sind auf der griechischen Halbinsel zahlreiche militante Gruppen verteilt, die regelmäßig Brandanschläge gegen Einrichtungen des Staates und der Polizei verüben. Teilweise rücken aber offenbar auch Banken und Privatfirmen ins Visier. Diese Gruppen operieren unter häufig wechselnden Namen wie Summer Entropy Commandos, Anomie Cores "carpe noctum", Antifascist Attack Cores, Antisexist Group, Wild Wolves , Immoral City De-Structuralists, Practical Anarchists etc.
Darüber hinaus, so berichtet die FAZ, sei seit Jahresbeginn in Griechenland kein Monat und in vielen Monaten kaum eine Woche ohne Bombenanschläge vergangen. Die meisten dieser Anschläge fänden nach vorheriger Warnung statt, so daß es nur selten Verletzte gebe. Im Juli konnte laut Zeitungsangaben eine Bombe vor dem chilenischen Konsulat in Thessaloniki nach einem Anruf noch entschärft werden, nicht aber in Athen die Sprengkörper vor einer amerikanischen McDonaldsfiliale (am 4. Juli) und dem Büro eines Politikers. Die bekannteste Gruppe sei der erwähnte „Revolutionäre Kampf". Diese Gruppierung sei im Mai von den Vereinigten Staaten als terroristische Organisation gebrandmarkt worden.
Die Hellenen dürfen jetzt plötzlich an die Wahlurne
Ohne ausdrückliche Bezugnahme auf die Anschläge kündigte Griechenlands konservativer Ministerpräsident Kostas Karamanlis am Mittwochabend in einer Fernsehansprache überraschend vorgezogene Parlamentswahlen an. Als Grund nannte er die internationale Wirtschaftskrise. Als mögliche Wahltage gelten der 27. September und der 4. Oktober. Ursprünglich sollten die Griechen erst 2011 wieder zum Wahlgang gerufen werden.
"Uns stehen zwei schwierige Jahre bevor", sagte Karamanlis, der auch die Regierungspartei Nea Dimokratia (ND) anführt. Eine Reihe von Wirtschaftsreformen müßten eingeführt und die Steuerhinterziehung bekämpft werden. Jorgos Papandreou, der Chef der oppositionellen PASOK, die in den Umfragen 5 bis 6 Prozent vor ND liegt, betonte in einer ersten Stellungnahme, daß die Regierung unter der Last der Probleme, die sie selbst hervorgerufen habe, in sich zusammengestürzt sei. „Die Stunde des Volkes ist gekommen, die Stunde für einen neuen Anfang, für einen neuen Kurs“, so Papandreou.
Nervosität an den Finanzmärkten
Die Börsen in Europa, Afrika und im Mittleren Osten als auch die US-Aktienmärkte gingen heute fast durchweg mit Abschlägen aus dem Handel. S&P 500 und Dow Jones Industrial Average verloren beide 0,3 Prozent und zudem am vierten Tag in Folge, was für den S&P die längste Schwächephase seit Mai darstellt. Der Goldpreis hingegen stieg in New York um 2,3 Prozent auf 978,50 Dollar pro Unze.
Der hellenische Athex Composite Share Price Index verlor 1,26 Prozent auf 2,478 Zähler. Schlechtester Titel war hier die EFG Eurobank Ergasias S.A., die drittgrößte griechische Bank (die zuvor auch schon Ziel von Brandanschlägen gewesen war), die um 5,3 Prozent einbrach. Auch europaweit trennten sich Anleger von Finanzwerten, der europäische DJ-Branchenindex gab 1,8 Prozent nach. "Die Ängste, daß eine Bank noch Leichen im Keller hat, kommen wieder hoch", faßte ein Händler die nervöse Stimmung zusammen.
Schon am Dienstag hatten Spekulationen über neue Problemfälle in der Finanzbranche die Runde gemacht. Im Stoxx50 gehörten die Papiere von Barclays und ING mit einem Minus von bis zu vier Prozent zu den größten Verlierern. Auch Versichereraktien gerieten unter Druck. So büßten im Dax Allianz-Titel knapp zwei Prozent ein, in Zürich Swiss Re 4,8 Prozent und in Paris Axa 2,2 Prozent, während im FTSE 100 unter anderem Legal & General 8,78 Prozent, Lloyds 6,23 Prozent, Aviva 3,70 Prozent und Royal Bank of Scotland 4,50 Prozent absackten.
Der Dax beendete den Handel 0,14 Prozent tiefer bei 5319 Punkten, konnte damit allerdings einen Großteil seiner Tagesverluste von bis zu 1,2 Prozent wieder aufholen. Gegen den Trend waren in Frankfurt die Aktien von Münchener Rück gefragt. Sie gehörten mit einem Aufschlag von 1,8 Prozent zu den größten Dax-Gewinnern. Auch am Devisenmarkt herrschte nicht gerade Enthusiasmus. Während der Euro leicht schwächer tendierte, gab es bei den in Krisenzeiten eher gefragten Währungen Yen und Dollar Zulauf. "Vor der EZB-Sitzung am Donnerstag und dem großen US-Arbeitsmarktbericht am Freitag wollen die Investoren die Bälle flach halten", sagte ein Analyst.
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