Montag, 20. September 2010

Bakunin's Confession




English Version

Wegen seiner Teilnahme am Dresdener Aufstand war Michael Bakunin in Sachsen 1849 verhaftet und 1850 zum Tode verurteilt worden. Das Urteil wurde nicht vollstreckt; denn da er wegen seiner Teilnahme an der tschechischen Revolte von 1848 von Österreich gesucht wurde, war die sächsische Regierung übereingekommen, ihn auszuliefern. In Österreich wurde er vor Gericht gestellt und 1851 wieder zum Tode verurteilt, die Strafe jedoch zu lebenslänglichem Gefängnis umgewandelt. Die Umwandlung war nicht mehr als eine Formalität, da man im voraus entschieden hatte, ihn am Tage der Verurteilung an die Grenze zu befördern und den russischen Behörden zu übergeben. Von den Russen aber war Bakunin in absentia zum Verlust der Adelsprivilegien und zu lebenslänglicher Zwangsarbeit in Sibirien verurteilt worden, als er sich 1844 geweigert hatte, einem Befehl zur Rückkehr in die Heimat Folge zu leisten. Er wurde darum von den russischen Behörden nicht neuerlich vor Gericht gestellt, sondern auf Grund des früher ergangenen Urteils in der Peter-Pauls-Festung interniert.

In der Peter-Pauls-Festung geschah zunächst nichts. Bakunin wartete vergeblich auf seine Deportation nach Sibirien. Als zwei Monate vergangen waren, empfing er in seiner Zelle den Besuch des Grafen Orlov, des Adjutanten des Zaren und Chefs der Dritten Sektion. Orlow eröffnete Bakunin, er sei vom Zaren persönlich gesandt, mit dem Auftrag, ihn aufzufordern, eine Beichte seiner Sünden für den Zaren zu schreiben.

"Sagen Sie ihm", hatte Nikolaus I. befohlen, "er soll mir wie ein geistlicher Sohn seinem geistlichen Vater schreiben".

Bakunin nahm die Aufforderung an.

Das Ergebnis war die Beichte.

Eine Beichte seiner Sünden für den Zaren zu schreiben, wird unter Revolutionären nicht für gute Form gehalten.

Die Biographen Bakunins, die entweder selbst Revolutionäre sind oder doch so viel Sympathie für den revolutionären code d’honneur empfinden, daß sie sich verpflichtet fühlen, ihren Helden zu entschuldigen, haben sich bemüht, das Schreckliche in milderem Licht erscheinen zu lassen. Einige ihrer Argumente betreffen reale Umstände der Beichte: Bakunin war Pionier der Revolution, und der Verhaltenskodex war noch nicht zureichend entwickelt; außerdem war er Edelmann und Offizier, und für einen Mann seiner sozialen Stellung war es nicht extravagant, mit Männern seiner Klasse in Verbindung zu treten.

Über diese Punkte hinaus fehlt es an Unterlagen.

Was einige der Biographen über die psychologischen Motive Bakunins und über die nicht weniger interessanten Vorgänge in der Seele Nikolaus I. zu sagen haben, ist zum größten Teil literarische Phantasie.

Gegen Anfang des Schriftstücks bittet Bakunin den Zaren, nicht von ihm zu verlangen, daß er zum Verräter werden und die Sünden anderer beichten solle:

"Selbst in Deinen eigenen Augen, Herrscher, würde ich lieber als ein politischer Verbrecher erscheinen, der die schwerste Strafe verdient, denn als ein Schurke."

Der Zar, der den Geist eines Inquisitors hatte, notierte am Rande:

"Durch dieses Wort allein zerstört er jedes Vertrauen; wenn er das volle Gewicht seiner Sünden fühlt, kann nur eine vollständige Beichte, nicht eine bedingte, als Beichte angesehen werden."

Die Beichte ist literarisch eine der besten Leistungen Bakunins.

Die Beichte hatte keinen unmittelbaren Einfluß auf Bakunins Schicksal.


- Eric Voegelin "Bakunin’s Confession", in: The Journal of Politics, Gainesville (Florida), Vol. VIII / 1, 1946, page 24-43

- Deutsch: E. Voegelin, "Die Beichte Bakunins", in: E.V., Anamnesis. Zur Theorie der Geschichte und Politik, R. Piper & Co. Verlag, München 1966, Seite 223-238

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Photo: Bakunin in Italy

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