In diesem Jahr kam's zahlenmäßig ziemlich dicke. Erst ging die globale Wirtschaft den Bach runter, dann war plötzlich das Weltklima futsch. Und nun droht schon die nächste Hiobsbotschaft: Das glückliche Gallien legt sich in Sachen Zeitrechnung quer. So steht es jedenfalls in einem nonkonformistischen Manifest, das eben hier hereingeflattert ist:
„Da sich die internationalen Staatsorgane taub stellen, schreitet die „Oppositionsfront gegen das Neue Jahr – Nationales Organisationskomitee“ (FONACON) ein weiteres Mal zur Aktion. Seit 2006 fordern die Mitglieder von FONACON die Abschaffung des Neuen Jahres - mit der Engelsgeduld von Leuten, die wissen, daß sie recht haben. Trotz eines großen Medienechos und einer weltweit stetig wachsenden Mobilisierung dringt diese Botschaft bis heute bei den Verantwortlichen nicht durch. Schlimmer noch, je mehr die internationale Unterstützung für uns wächst, desto weniger scheinen die Regierenden geneigt, unseren legitimen Forderungen Rechnung zu tragen. Im vorigen Jahr hatten wir uns, im Vertrauen auf den Kandidaten Barack Obama, mit dessen Unterstützung wir selbstverständlich rechneten, an einer Atlantik-Überquerung auf Schusters Rappen versucht … Ohne Erfolg.
Für dieses Jahresende 2009 sah unser Aktionsprogramm eine große Kundgebung vor dem New Yorker Sitz der Vereinten Nationen vor. Leider haben die Geheimdienste verschiedener Regierungs-Organisationen ihre Verbindungen spielen lassen, um uns inoffiziell zu signalisieren, daß wir wegen einer Quarantäne infolge der Schweinegrippe nicht in die Vereinigten Staaten einreisen könnten, um hier unseren gerechten Zorn kundzutun. Wir nehmen das zur Kenntnis.
Da es aber nicht in Frage kommt, daß wir die Flinte jetzt ins Korn werfen und den schändlichen Drohungen des Traditionsvereins von Weihnachtsbaum-Lobbyisten, Luftschlangen-Industriellen, [Pyrotechnikern,] Kalender-Fabrikanten und Schweizer Uhrmachern beugen, die aus der vergänglichen Zeit ihren Honig saugen, und wir andererseits unseren Sympathisanten auch den Härtetest der Quarantäne [bzw. frei nach Derrida: eines vierzigjährigen Volkskriegs] ersparen möchten, verkünden wir feierlich, daß wir, als Antwort auf die diversen Pressionen, unsere Militanten zu Kundgebungen vor allen Freiheitsstatuen in Frankreich aufrufen (unseres Wissens gibt es davon sechzehn, möglicherweise aber auch mehr – vielleicht wäre das eine Gelegenheit, das hiesige National-Inventar der historischen Denkmäler einmal zu vervollständigen), um uns dortselbst in Quarantäne zu begeben, im Angesicht jener Freiheitsstatue, die einst auch die Einwanderer bei ihrer unfreiwilligen Isolation in Ellis Island, wo sie auf ihren Eintritt in die USA warteten, vor Augen hatten. Wir warten dort auf die Abschaffung des Neuen Jahres, auf das Nicht-Eintreten von 2010.“
Bravo, la France !! Das ist zwar nicht unbedingt schon der Weckruf des gallischen Hahns, zumal der ja erstmal nur Europa wachkrähen soll (MEW 6, 10 und öfter), aber zumindest eine originelle Antwort auf Sarkozy, Schlämmer, Sonneborn & Co..
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Zur epistemologischen Vertiefung:
Daniel S. Milo, Trahir le temps (Histoire), Les Belles Lettres, Paris 1991
Daniel S. Milo, Alain Boureau (Hrsg.), Alter Histoire. Essais d'histoire expérimentale, Les Belles Lettres, Paris 1991 (der geniale Hauptaufsatz Milos aus diesem Band, "Pour une histoire expérimentale ou le gai savoir", erschien auch in deutscher Übersetzung, und zwar in Jürgen Links Zeitschrift "kultuRRevolution", Nr. 24, 1991, sowie in einem Reader des Wilhelm Fink Verlags,"Zeit der Ereignisse - Ende der Geschichte ?", hrsg. v. Friedrich Balke u.a., München 1992).
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