Freitag, 5. Februar 2010

Die Kirchen, die wir bespielen



Der links- bzw. rechtspopolistische Sitzenbleiberinnen-Skandal im Bundestag weitet sich aus. Zur Erinnerung: Am 27. Januar, dem internationalen Holocaust-Gedenktag, waren die drei weiblichen LINKEN-Abgeordneten Christine Buchholz, Sahra Wagenknecht und Sevim Dağdelen beim Auftritt des israelischen Staatspräsidenten Schimon Peres im Bundestag – wohl so ähnlich wie einst Ignatz Bubis nach Martin Walsers vielgescholtener Paulskirchen-Rede – demonstrativ sitzengeblieben. Oder auch nicht so furchtbar demonstrativ, sondern vielmehr eher diskret bzw. nach dem Motto der hedonistisch-feministisch-linksradikalen Bohème, "Reiten – lesen – Freundinnen treffen", qui sait, ich war nicht dabei, jedenfalls geriet der Fall offenbar erst dann in die außerparlamentarische Öffentlichkeit, als er vom Umfeld der LinksgenossInnen Klaus Lederer und Halina Wawzyniak, eine wahrhaft couragierte Pfeife muß das gewesen sein, an die große Medien-Glocke gehängt wurde. Whistleblowing ist eben total angesagt in der Linken, seit der dubiose Dr. Bartsch hier in Sachen Lafontaine mannhaft voranging.

Natürlich hat der Fall nicht nur mit dem Antisemitismus-Israel-Nahost-Komplex zu tun, denn Lederer und Wawzyniak gehören zum ostdeutschen Reformer-Flügel der Linkspartei, sie wollen also mit den drei westdeutschen Radikal-Grazien wohl auch ein ganz anderes Hühnchen zupfen. Friendly fire das gibt's im Krieg und in der Politik öfters als man denkt. Es kam daher - wie so oft, wenn es irgendwo spannend wird - auch sofort zum Gegenteil, es gab Beifall von der falschen Seite: Der NPD-Gansel findet Sahra & friends ab sofort ganz toll. Und last but not least hat sich jetzt auch noch die Protestantische Kirche in Deutschland (PKD) zu Wort gemeldet. Drei flotte Ruhrpott-Talare, eine Fachfrau und zwei Fachmänner für die gnadenlos service-orientierte Postmoderne, haben nämlich zur Feder gegriffen und der Abgeordneten Dağdelen in einem flammenden Offenen Brief die Leviten gelesen. Warum eigentlich nur ihr, aber nicht den beiden anderen ? Wurde Frau Dağdelen etwa mal im Kirchenasyl der Dortmunder St. Petri-Kirche vor den Erben der Firma Eichmann & Söhne versteckt ? Das geht aus dem Schreiben leider nicht hervor.

Wir dokumentieren das nette Stück der drei PfarrerInnen, so wie es auf der Website der Bush & Broder-Brothers und bei Indymedia Germany (hier heftigst debattiert) gepostet wurde. Es ist ein denkwürdiges Beispiel für schicken protestantischen Schund und neudeutschen Antifa-Irrsinn:


„Sehr geehrte Frau Dağdelen,

Respekt ist das, was einen überkommt, wenn man zurückblickt, lat. respectare. Am Jahrestag der Befreiung von Auschwitz saßen Sie im Deutschen Bundestag. Sie saßen da, als Schimon Peres zurückgeblickt hat und seinen Großvater vor sich sah, wie er ihn, den Elfjährigen, in einen Zug setzt, der ihn nach Israel bringt, bevor ihn Deutsche umbringen konnten. Sie saßen da, als er, der Überlebende, das Kaddisch sprach für sechs Millionen, die ermordet wurden, und saßen da, als er, der Präsident des Staates Israel, sagte “Nie wieder.” Sie saßen da und blieben sitzen, als sich der Bundestag erhob.

Sie sitzen aber nicht, das ist uns klar, für eine Nazi-Partei im Parlament, sondern stehen für DIE LINKE. In Ihrer Fraktion werden Sie als “Sprecherin Migrations- und Integrationspolitik” geführt. Zu wem sprechen Sie, wenn Sie sitzen bleiben? Sind auch die Anhänger der Hisbollah darunter, mit denen Sie auf Demos gehen und den “Tod! Tod Israel!” verlangen?

Antisemitismus ist die Leidenschaft, die den Tod der Juden wünscht. Nur dass Sitzenbleiben nicht sehr leidenschaftlich wirkt, eher kalkuliert. Als rechnete es sich für Sie. Blieben Sie sitzen im Bundestag, weil Sie den Sitz im Bundestag behalten wollen? Könnte sein, dass Sie gar keine Antisemitin sind, sondern eine Politikerin, ganz leidenschaftslos.

Nur dass gerade dies uns fassungslos macht. “Meine verehrten Anwesenden”, hatte Schimon Peres im Bundestag gesagt, “die Shoa wirft schwierige Fragen zur tiefsten Seele des Menschen auf. Wie böse kann der Mensch sein?” Seit Hannah Arendt dämmert uns, wie banal das Böse sein kann, sie hat die Banalität des Bösen als “Unwillen” beschrieben: “Da ist keine Tiefe, es ist nicht dämonisch. Es ist einfach der Unwille, sich je vorzustellen, was eigentlich mit dem anderen ist.” Einfach der Unwille, “an der Stelle jedes andern zu denken”. An der Stelle eines 11jährigen, den der Großvater zum Zug bringt. An der Stelle des 86jährigen, der Ihnen sagt: “Ich danke Ihnen.”

Einfach der Unwille mitzufühlen. Der einfache Wille, nichts wissen zu wollen. Früher liefen sie mit, heute bleiben Sie sitzen, es widert uns an. Die Kirchen, die wir bespielen, sind Kirchen der Kulturen, es sind offene Häuser, und manche Gespräche werden darin so offen geführt, dass es weh tun kann. Auch Sie sind hier zu Gast gewesen. Sie werden es nicht mehr sein, Sie sind uns nicht erwünscht. Sie haben denen, die überlebt haben, den Respekt verweigert, unseren haben Sie restlos verloren.

Pfr. Barbara von Bremen - St. Petri-Kirche Dortmund
Pfr. Thomas Schöps - Bleckkirche Gelsenkirchen
Pfr. Thomas Wessel - Christuskirche Bochum“

***

Inzwischen liegt ein Offener Antwortbrief der Bundestagsabgeordneten Sevim Dağdelen vor, den wir ebenfalls dokumentieren:

"Sehr geehrte Pfarrerin von Bremen, sehr geehrter Pfarrer Schöps, sehr geehrter Pfarrer Wessel,

Sie wissen, dass es nicht stimmt. Dass ich niemals den Opfern des Holocaust meinen Respekt verweigern würde und dies auch nicht getan habe im Bundestag. Dass ich mich selbstverständlich erhoben habe zu Ehren der Opfer, die dem deutschen Rassenwahn zum Opfer gefallen sind, als der Bundestag am 27. Januar im Beisein von Shimon Peres der Opfer des Nationalsozialismus gedachte. Mich des Antisemitismus zu bezichtigten, ist infam. Mir Bösartigkeit und Gefühllosigkeit zu unterstellen, nicht minder. Sie beschuldigen mich der Ignoranz ohne auch nur mit mir ein Gespräch zu suchen. Sie reden von Kultur und predigen Hass. Das hätte ich nicht erwartet. Erst recht nicht von Ihnen.

Ja, ich habe Shimon Peres nach seiner Rede stehende Ovationen verweigert. Ich habe nicht stehend applaudiert, als er von Atomraketen sprach, die der Iran angeblich besitze und die die Welt bedrohen. Ich habe nicht geklatscht, als er den Kriegstreibern Nahrung gab, die dabei sind, den nächsten Feldzug gegen den Iran zu planen, der den Mittleren Osten in die nächste Katastrophe steuern wird. Ich habe keine Zustimmung geäußert zu einer Fortsetzung der Vorgehensweise, die wir aus dem Irak kennen, wo gleichfalls mithilfe von Bedrohungsszenarien ein furchtbarer Krieg vom Zaun gebrochen wurde.

Wenn Sie mir dafür die Tür der Kirche weisen, dann soll es so sein. Vertreter der Kirche, die wider besseren Wissens diffamieren, sind nicht meine Ansprechpartner. Ob Sie jedoch die vielen Christinnen und Christen repräsentieren, denen Wahrhaftigkeit etwas bedeutet und die sich gegen Krieg und für Dialog und Verständigung einsetzen, wage ich zu bezweifeln.

Sie sagen, es widert Sie an, dass ich sitzengeblieben bin. Was mich anwidert, sind hasserfüllte Stellungnahmen der Selbstgerechtigkeit, die nichts, aber auch gar nichts mit dem zu tun haben, was ich mir von der Kirche erhoffe und von ihr erwarte. Ich bin sicher, damit stehe ich nicht allein. Ich erlaube mir den Brief den zuständigen Superintendenten der evangelischen Kirche zukommen zu lassen und ihn wie Sie dies mit Ihrem Brief getan haben, unmittelbar zu veröffentlichen.

Sevim Dağdelen, 05.02.2010"

Siehe auch die Erklärungen von Christine Buchholz und Sahra Wagenknecht

Abbildung: Mittelalterliche symbolische Darstellung von Synagoge (rechts) und Ecclesia (links) / Gefunden auf gelsenkirchen.de (mehr über dieses Bildmotiv hier)

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