Die Heilige Jungfrau
Verglichen mit der Luft, die wir atmen
WILDE Luft, Welt-mutternde Luft,
Umheget mich überall,
Die jede Wimper, jedes Haar
Umschlingt; die eingeht unter
Wolligste, zartest-flaumige
Schneeflocke; die innigst gemischt ist,
Durchdringend, durchwaltend,
In jedes geringsten Dings Leben;
Dieses nötige, unversiegliche
Und nährende Element;
Mein Mehr-als-Speis-und-Trank,
Mein Mahl bei jedem Wink;
Diese Luft, die, auf Lebens Gebot,
Meine Lunge nun ziehen und ziehn
Muß, nur um auszuatmen ihr Lob,
Gemahnt mich in mancherlei Weise
An Sie, die nicht allein
Gottes Unendlichkeit
Verwinzigt zum Kind
Willkomm gab in Schoß und Brust,
Geburt und Milch und alles andere,
Sondern auch Mutter ist jeder neuen Gnade,
Die jetzt noch herkommt unserm Geschlecht -
Maria Unbefleckte,
Ein Weib nur, doch
Dessen Hoheit, dessen Macht
Groß ist, wie keiner Göttin je solche
Menschenwitz, Menschenwahn zuschrieb ...
Übers. Ursula Clemen & Friedhelm Kemp
***
Tableau: Max Ernst, Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind vor drei Zeugen: André Breton, Paul Éluard und dem Maler, 1926, Öl auf Leinwand, 196 x 130 cm, Museum Ludwig, Köln, Deutschland
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